Die Zukunft läuft davon
Griechenlands
Professoren versuchen, ihre Universitäten zu retten. Doch für das marode System
gibt es keine Hilfe. Viele Studenten sehen ihre letzte Chance im Ausland.
Die 29-jährige Kelly Fanarioti verlor den Glauben an
das griechische Bildungssystem, als eigentlich ein Erfolg ihrer Universität
gefeiert werden sollte: Vier Jura-Studenten aus Athen hatten den ersten Preis
eines europäischen Wettbewerbs gewonnen. In Belgrad sollten die jungen Griechen
für ihre Leistung ausgezeichnet werden. Doch die griechische Universität konnte
sich die Fahrt für die Sieger nicht leisten.
Dabei sind die Fahrtkosten noch das kleinste Problem
der Bildungseinrichtungen: Seit der Finanzkrise kürzte die Regierung die
öffentlichen Bildungsmittel um rund 60 Prozent. Immer wieder suchen die
Universitäten nach Lösungen, um das marode System zu retten. Langzeitstudenten
sollten exmatrikuliert, weniger Erasmus-Studenten aufgenommen werden und
Studenten mehr an der Hochschulpolitik mitwirken – genutzt hat das nichts.
Einen neuen Versuch starteten die vier größten
Universitäten des Landes in der vorigen Woche. Sie forderten das
Bildungsministerium in einem offenen Brief auf, die Studentenzahl im Jahr 2018
um die Hälfte zu reduzieren. Anders als in Deutschland sind die griechischen
Bildungsinstitute stark zentralisiert und öffentlich finanziert. Während
Universitäten hierzulande weitgehend selbst entscheiden können, wohin ihre
öffentlichen Mittel fließen, trifft das griechische Bildungsministerium die
wichtigen Entscheidungen für die Hochschulen. Die Universitäten können weder
beeinflussen, wie viel Mittel sie erhalten, noch welche Stellen neu besetzt
werden oder wie viele Studenten sie betreuen müssen.
Dabei hätten die Universitäten eine Veränderung bitter
nötig. Viele Universitätsmitarbeiter verloren im Zuge der Krise ihren Job. Wer
ihn noch hat, arbeitet nun mehr Stunden in der Woche für weniger Geld.
Griechische Zeitungen schätzen, dass rund 11.000 Stellen nicht besetzt sind.
Griechen, die in Elternzeit sind oder kurzfristig an einer ausländischen
Universität arbeiten, sind nicht eingerechnet.
Für Professoren wie Koniordas Sokratis ist das eine
Katastrophe. "Wenn zehn Mitarbeiter gehen, dann kommt in Griechenland ein
Mitarbeiter nach", sagt der Soziologie-Professor an der Universität in
Kreta. Aufwendige Forschung sei schon lange nicht mehr möglich. Die Lehre sei
im Vergleich zum Ausland schlecht. "Man fragt sich aber sowieso nur noch,
wie man seine Familie ernähren soll", sagt der 60-Jährige. Wenn er die
Möglichkeit auf eine Lehrstelle im Ausland hätte, dann würde er ohne
Nachzudenken seine Koffer packen und sein Heimatland verlassen. Viele seiner
jüngeren Kollegen hätten die Flucht ins Ausland schon angetreten.
Die Auswanderer kommen selten
zurück
Doch auch wenn das Bildungsministerium die
Studentenanzahl reduzieren würde, ließen sich die Probleme vermutlich nicht
lösen: Griechenland erlebt seit Jahren einen Brain Drain, die Abwanderung
akademischer Fachkräfte. Potenzielle griechische Berufstätige, in deren Bildung
investiert wurde und die im Ausland arbeiten, wirtschaften nicht für ihr
Geburtsland. Studien halten fest, dass die Auswanderer nur selten zurückkehren.
Allein von 2010 bis 2013 verließen rund 350.000 Griechen ihre Heimat. Rund
270.000 von ihnen waren zwischen 20 und 39 Jahre alt.
Bisher betrifft der Brain Drain vor allem ausgebildete
Kräfte. Würden die Studentenzahlen reduziert werden, könnte sich dieser auch
bei den Studenten fortsetzen. Denn wer keinen Platz an einer griechischen
Universität bekommt, wird keine andere Chance haben, als ins Ausland zu gehen.
So wie Dimitris Makrystathis. Der 28-Jährige hat ein
Ingenieursstudium an der Universität Patras abgeschlossen und überlegt, für
einen Master nach Deutschland oder Großbritannien zu gehen. "In jeder
griechischen Universität gibt es finanzielle Probleme", sagt er. Es fehle
nicht nur an Professoren, auch Bücher seien veraltet und wichtige Software
würde nicht erneuert. Makrystathis, der sich in der Hochschulpolitik engagiert,
möchte nicht, dass weniger junge Menschen an den Universitäten studieren. Damit
sei das größte Problem, die Unterfinanzierung der Bildungsinstitute, nicht
gelöst. Im schlechtesten Fall würde sich die Finanzlage zuspitzen. Denn die
staatliche Förderung der Universitäten hängt von den aktiven Studenten ab.
Weniger Studenten, das bedeutet auch weniger Fördergelder.
Eine Generation geht verloren
Dass der Brain Drain auch die akademischen Fachkräfte
betrifft, zeigt sich an Gikkas Magiorkinis. Der Doktorand verließ sein Land im
Jahr 2010, um an der Oxford-Universität in Großbritannien zu lehren und
forschen. Der Virenforscher wäre auch an der Athener Universität geblieben,
doch wirklich geworben habe keiner um ihn. Zwar wurde ihm eine Lehrstelle
angeboten, doch der gesamte Bewerbungsprozess dauerte vier Jahre. Als die
Zusage kam, saß Magiorkinis schon längst in Oxford und verdiente gut. "Ich
würde gern die griechischen Universitäten unterstützen", sagt der
38-Jährige. Doch ihm seien nur Steine in den Weg gelegt worden. Er bot den
Rektoren sogar an, für ein geringes Gehalt gleichzeitig in Oxford und Athen zu
unterrichten. Doch auf solche Angebote seien die Universitäten nicht
eingestellt. Was in anderen Ländern völlig normal ist, wäre in Griechenland
eine Ausnahmesituation gewesen. In Oxford kann er nun in den neuesten
Forschungslaboren arbeiten. Zurückkommen würde er nur, wenn sich die Verwaltung
in Griechenland grundlegend verändere.
Schlimmer träfe eine Begrenzung der Studienzahl nur
noch die Griechen, die sich kein Studium im Ausland leisten können. Denn wenn
weniger Studenten zugelassen werden, verringert sich auch die Chance der
Abiturienten, einen Studienplatz im Heimatort zu bekommen. Ein Umzug in eine
entferntere Stadt oder auf eine andere Insel können sich viele griechische
Familien nicht leisten. Seit der Finanzkrise leben viele Studenten wieder bei
ihren Eltern, weil eine eigene Wohnung zu teuer wäre. Ein großer Teil der
Generation droht, verloren zu gehen und ungelernt in Griechenland festzusitzen.
Schon jetzt hat Griechenland die höchste Rate an
jungen Menschen, die weder studieren noch arbeiten. Die ökonomischen Folgen von
Abwanderung und fehlender Ausbildung sehen Forscher als immens an. Abgesehen
davon, dass die Gefahr besteht, in wirtschaftlich besseren Zeiten keinen
Nachwuchs zu haben, gehen beispielsweise auch Steuern und Investitionen
verloren. Auch die Chance auf eine bessere Qualität der Lehre verringert sich,
wenn Gebildete das Land verlassen. Damit ist auch die wirtschaftliche
Stabilität bedroht.
"Ich glaube, es gibt
keinen Plan"
Die Zukunft der Universitäten ist ungewiss. Experten
schätzen, dass sie sich ohne eine komplette Umstrukturierung nicht werden
erholen können. Immer wieder wurde von verschiedenen Stellen gefordert,
Studiengebühren oder Spenden einzuführen. Dies verbietet aber die Verfassung.
"Wir wollten nie an unseren Studenten verdienen", sagt der
Soziologie-Professor Sokratis. Nun nütze es aber sowieso nichts mehr. Die
meisten Familien könnten sich keine Gebühren leisten. Die einzige Geldquelle,
auf die sich die Bildungseinrichtungen stützen können, ist der bankrotte Staat.
Und der zahlt nicht mehr. Sokratis hat resigniert: "Ich glaube, es gibt keinen
Plan, um unsere Hochschulen zu retten."
"Ich schäme mich für mein Land", sagt Kelly
Fanarioti. Sie hat den Abschluss in Kommunikation, Medien und Kultur an der
Panteion Universität in Athen gemacht. Genau wie jeder zweite Jugendliche in
Griechenland ist sie arbeitslos. "Jeden Tag raubt uns die griechische
Regierung weitere Chancen", sagt sie über die wirtschaftliche Situation
für junge Absolventen. Auch Fanarioti überlegt, ins Ausland zu gehen.
Sokratis würde ihr dazu raten. Er selbst hat zwei
Töchter, die in Großbritannien studieren und arbeiten. Dort sind sie
erfolgreich, in Griechenland wären sie arbeitslos.