25 Φεβρουαρίου 2017

Die Zukunft läuft davon

Griechenlands Professoren versuchen, ihre Universitäten zu retten. Doch für das marode System gibt es keine Hilfe. Viele Studenten sehen ihre letzte Chance im Ausland.

Die 29-jährige Kelly Fanarioti verlor den Glauben an das griechische Bildungssystem, als eigentlich ein Erfolg ihrer Universität gefeiert werden sollte: Vier Jura-Studenten aus Athen hatten den ersten Preis eines europäischen Wettbewerbs gewonnen. In Belgrad sollten die jungen Griechen für ihre Leistung ausgezeichnet werden. Doch die griechische Universität konnte sich die Fahrt für die Sieger nicht leisten.

Dabei sind die Fahrtkosten noch das kleinste Problem der Bildungseinrichtungen: Seit der Finanzkrise kürzte die Regierung die öffentlichen Bildungsmittel um rund 60 Prozent. Immer wieder suchen die Universitäten nach Lösungen, um das marode System zu retten. Langzeitstudenten sollten exmatrikuliert, weniger Erasmus-Studenten aufgenommen werden und Studenten mehr an der Hochschulpolitik mitwirken – genutzt hat das nichts.

Einen neuen Versuch starteten die vier größten Universitäten des Landes in der vorigen Woche. Sie forderten das Bildungsministerium in einem offenen Brief auf, die Studentenzahl im Jahr 2018 um die Hälfte zu reduzieren. Anders als in Deutschland sind die griechischen Bildungsinstitute stark zentralisiert und öffentlich finanziert. Während Universitäten hierzulande weitgehend selbst entscheiden können, wohin ihre öffentlichen Mittel fließen, trifft das griechische Bildungsministerium die wichtigen Entscheidungen für die Hochschulen. Die Universitäten können weder beeinflussen, wie viel Mittel sie erhalten, noch welche Stellen neu besetzt werden oder wie viele Studenten sie betreuen müssen.

Dabei hätten die Universitäten eine Veränderung bitter nötig. Viele Universitätsmitarbeiter verloren im Zuge der Krise ihren Job. Wer ihn noch hat, arbeitet nun mehr Stunden in der Woche für weniger Geld. Griechische Zeitungen schätzen, dass rund 11.000 Stellen nicht besetzt sind. Griechen, die in Elternzeit sind oder kurzfristig an einer ausländischen Universität arbeiten, sind nicht eingerechnet.

Für Professoren wie Koniordas Sokratis ist das eine Katastrophe. "Wenn zehn Mitarbeiter gehen, dann kommt in Griechenland ein Mitarbeiter nach", sagt der Soziologie-Professor an der Universität in Kreta. Aufwendige Forschung sei schon lange nicht mehr möglich. Die Lehre sei im Vergleich zum Ausland schlecht. "Man fragt sich aber sowieso nur noch, wie man seine Familie ernähren soll", sagt der 60-Jährige. Wenn er die Möglichkeit auf eine Lehrstelle im Ausland hätte, dann würde er ohne Nachzudenken seine Koffer packen und sein Heimatland verlassen. Viele seiner jüngeren Kollegen hätten die Flucht ins Ausland schon angetreten.

Die Auswanderer kommen selten zurück
Doch auch wenn das Bildungsministerium die Studentenanzahl reduzieren würde, ließen sich die Probleme vermutlich nicht lösen: Griechenland erlebt seit Jahren einen Brain Drain, die Abwanderung akademischer Fachkräfte. Potenzielle griechische Berufstätige, in deren Bildung investiert wurde und die im Ausland arbeiten, wirtschaften nicht für ihr Geburtsland. Studien halten fest, dass die Auswanderer nur selten zurückkehren. Allein von 2010 bis 2013 verließen rund 350.000 Griechen ihre Heimat. Rund 270.000 von ihnen waren zwischen 20 und 39 Jahre alt.

Bisher betrifft der Brain Drain vor allem ausgebildete Kräfte. Würden die Studentenzahlen reduziert werden, könnte sich dieser auch bei den Studenten fortsetzen. Denn wer keinen Platz an einer griechischen Universität bekommt, wird keine andere Chance haben, als ins Ausland zu gehen.

So wie Dimitris Makrystathis. Der 28-Jährige hat ein Ingenieursstudium an der Universität Patras abgeschlossen und überlegt, für einen Master nach Deutschland oder Großbritannien zu gehen. "In jeder griechischen Universität gibt es finanzielle Probleme", sagt er. Es fehle nicht nur an Professoren, auch Bücher seien veraltet und wichtige Software würde nicht erneuert. Makrystathis, der sich in der Hochschulpolitik engagiert, möchte nicht, dass weniger junge Menschen an den Universitäten studieren. Damit sei das größte Problem, die Unterfinanzierung der Bildungsinstitute, nicht gelöst. Im schlechtesten Fall würde sich die Finanzlage zuspitzen. Denn die staatliche Förderung der Universitäten hängt von den aktiven Studenten ab. Weniger Studenten, das bedeutet auch weniger Fördergelder.

Eine Generation geht verloren
Dass der Brain Drain auch die akademischen Fachkräfte betrifft, zeigt sich an Gikkas Magiorkinis. Der Doktorand verließ sein Land im Jahr 2010, um an der Oxford-Universität in Großbritannien zu lehren und forschen. Der Virenforscher wäre auch an der Athener Universität geblieben, doch wirklich geworben habe keiner um ihn. Zwar wurde ihm eine Lehrstelle angeboten, doch der gesamte Bewerbungsprozess dauerte vier Jahre. Als die Zusage kam, saß Magiorkinis schon längst in Oxford und verdiente gut. "Ich würde gern die griechischen Universitäten unterstützen", sagt der 38-Jährige. Doch ihm seien nur Steine in den Weg gelegt worden. Er bot den Rektoren sogar an, für ein geringes Gehalt gleichzeitig in Oxford und Athen zu unterrichten. Doch auf solche Angebote seien die Universitäten nicht eingestellt. Was in anderen Ländern völlig normal ist, wäre in Griechenland eine Ausnahmesituation gewesen. In Oxford kann er nun in den neuesten Forschungslaboren arbeiten. Zurückkommen würde er nur, wenn sich die Verwaltung in Griechenland grundlegend verändere.

Schlimmer träfe eine Begrenzung der Studienzahl nur noch die Griechen, die sich kein Studium im Ausland leisten können. Denn wenn weniger Studenten zugelassen werden, verringert sich auch die Chance der Abiturienten, einen Studienplatz im Heimatort zu bekommen. Ein Umzug in eine entferntere Stadt oder auf eine andere Insel können sich viele griechische Familien nicht leisten. Seit der Finanzkrise leben viele Studenten wieder bei ihren Eltern, weil eine eigene Wohnung zu teuer wäre. Ein großer Teil der Generation droht, verloren zu gehen und ungelernt in Griechenland festzusitzen.

Schon jetzt hat Griechenland die höchste Rate an jungen Menschen, die weder studieren noch arbeiten. Die ökonomischen Folgen von Abwanderung und fehlender Ausbildung sehen Forscher als immens an. Abgesehen davon, dass die Gefahr besteht, in wirtschaftlich besseren Zeiten keinen Nachwuchs zu haben, gehen beispielsweise auch Steuern und Investitionen verloren. Auch die Chance auf eine bessere Qualität der Lehre verringert sich, wenn Gebildete das Land verlassen. Damit ist auch die wirtschaftliche Stabilität bedroht.

"Ich glaube, es gibt keinen Plan"
Die Zukunft der Universitäten ist ungewiss. Experten schätzen, dass sie sich ohne eine komplette Umstrukturierung nicht werden erholen können. Immer wieder wurde von verschiedenen Stellen gefordert, Studiengebühren oder Spenden einzuführen. Dies verbietet aber die Verfassung. "Wir wollten nie an unseren Studenten verdienen", sagt der Soziologie-Professor Sokratis. Nun nütze es aber sowieso nichts mehr. Die meisten Familien könnten sich keine Gebühren leisten. Die einzige Geldquelle, auf die sich die Bildungseinrichtungen stützen können, ist der bankrotte Staat. Und der zahlt nicht mehr. Sokratis hat resigniert: "Ich glaube, es gibt keinen Plan, um unsere Hochschulen zu retten."

"Ich schäme mich für mein Land", sagt Kelly Fanarioti. Sie hat den Abschluss in Kommunikation, Medien und Kultur an der Panteion Universität in Athen gemacht. Genau wie jeder zweite Jugendliche in Griechenland ist sie arbeitslos. "Jeden Tag raubt uns die griechische Regierung weitere Chancen", sagt sie über die wirtschaftliche Situation für junge Absolventen. Auch Fanarioti überlegt, ins Ausland zu gehen.


Sokratis würde ihr dazu raten. Er selbst hat zwei Töchter, die in Großbritannien studieren und arbeiten. Dort sind sie erfolgreich, in Griechenland wären sie arbeitslos.

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